Dasein – Atmen – Achtsamkeit
Existenzanalyse und vorreflexives leibliches Erleben
von Markus Angermayr
Im Workshop der Internationalen Tagung der GLE 2009 sollte der Zugang zum vorreflexiven leiblichen Erleben des In-der-Welt-Seins und dessen Bedeutung für die existenzanalytische Psychotherapie vermittelt werden. Im Mittelpunkt standen Übungssequenzen aus der Tradition der Breema-Körperarbeit, die phänomenologisch reflektiert wurden. Dabei werden die existenzanalytischen Interessen einer Arbeit mit dem Körper und mögliche Entwicklungsfelder in den Blick genommen. Der Essay versteht sich als Versuch, die Arbeit mit dem Körper nicht nur theoretisch, sondern konkret und praktisch in die Existenzanalyse einzubringen. Die Ausführungen sind als Anmerkungen und skizzenhafte Vertiefungen zur existenzanalytischen Anthropologie und Praxis zu verstehen, ohne Anspruch aufVollständigkeit.
Schlüsselwörter: Breema-Körperarbeit, Existenzanalyse, Grundmotivationen, Körper, Leib, Phänomenologie
Es ist bezeichnend für existenzielle Ansätze, dass sie mit dem Naheliegen den und Selbstverständlichsten beginnen, dieses Vorgefundene einer genauen phänomenologischen Betrachtung unterziehen und dabei wesentliche Strukturen und Prozesse des Existenziellen herausfiltern. Zentraler Ausgangspunktexistenzanalytischer Psychotherapie ist das In-der-Welt-Sein (Heidegger 2006, 52), das Sich-Vorfinden in bestimmten Situationen. Existenziell gesehen gibt es keinen „Punkt von Nirgendwo“. Noch bevor wir darüber „nach-denken“ sind wir bereits da, als atmender Kör- per, mit dem Gespür und der Stimmung des Leibes, dem Gewicht des Körpers, dem Rhythmus und der Lebendigkeit des Durchatmet-Seins und einer uns zugehörigen Haltung. In gewisser Weise ist unser Leib ursprünglich vertraut mit der Erfahrung des Seins. Im Folgenden versuche ich die Idee zum Workshop nachzuzeichnen und die zentralen existenzanalytischen Interessen dabei aufzuzeigen. Was hat Selbst- Breema und Breema-Körperarbeit bewirkt? Mit dem Versuch die Bedeutung der Körperarbeit für die Praxis der existenzanalytischen Psychotherapie zu fassen, könnte sich ein Ausblick auf ein Entwicklungsfeld existenzanalytischer Arbeit mit dem Körper eröffnen.
1. Die Idee zum Workshop im Rahmen der Tagung „Leibhaftig – Körper & Psyche“
Aus meiner eigenen Erfahrung in der Ausbildung und in der Praxis als Existenzanalytiker und der Begegnung mit Breema-Körperarbeit wuchs in mir der Wunsch, die phänomenologische Arbeit mit dem Körper mehr in die Praxis einzubringen. Konzeptionell ist das Körper-Haben und Leib-Sein des Menschen in der Anthropologie und Theorie der Grundmotivationen von Längle sehr gut fundiert und auch immer wieder exemplarisch angeführt (Längle 2008, 37). Ergänzend zur Theoriebildung sollte dem konkreten Erleben des Körpers mehr Raum gegeben wer- den. In der Ausbildungspraxis gibt es ein paar sehr gute Atemübungen (Grenzatmung, Bauchatmung) und immer wieder die Ermutigung, zentrale Begriffe, wie „Raum haben“ oder den „Vertrauensprozess“ (Längle 2007, 33, 35-37, 40-42, 60), „Demut“, „Nähe und Zuwendung“, oder „Wertschätzung“ in eine körperliche Gebärde umzusetzen, um so zu einem tieferen Verstehen zu gelangen. In dieser Linie versteht sich der Workshop als eine Weiterführung.
Dabei wirkt die konkrete Arbeit mit dem Körper auf drei Ebenen: 1. Im Blick auf die eigene Präsenz und die Psychohygiene im Sinne eines achtsamen Dasein-Könnens und des aufmerksamen Spürens des Lebens in mir (1. und 2. Grundmotivation). Darauf wurde im Workshop der Schwerpunkt gelegt. 2. Körperorientierte Selbsterfahrung wirkt sich auf den diagnostischen Blick aus und bereichert und vertieft die Wahrnehmung. 3. Dabei eröffnet sich ein weites Feld möglicher Beziehungsgestaltung und Dialogmöglichkeit, die das Wissen des Körpers stärker mit einbezieht.
Breema®-Körperarbeit, Haltung und Prinzipien
Breema Körperarbeit wurde seit 1980 von einer Gruppe um Jon Schreiber und Malouchek Mooshan in Oakland, Kalifornien entwickelt. Das Wort Breema ist eine Zusammensetzung aus den Anfangsbuchstaben: Being, Right now, Everywhere, Every moment, Myself, Actually; (genau jetzt, überall, in jedem Augenblick, tatsächlich, ich selbst sein) (Schreiber 2008, 9, 15). In der Begegnung mit anderen psychologisch relevanten/ in der Psychotherapie zur Anwendung kommenden Körperarbeiten wie zum Beispiel Bio- energetik, der initiatischen Leibtherapie nach Dürckheim, Feldenkrais oder mit bewegungsorientierten Ansätzen wie Qigong fällt auf, dass diese Methoden durchaus intendieren gesundheitsfördernd, heilend oder Blockaden auflösend zu wirken, Energieflüsse ermöglichen sollen und dass eine entspannende Wirkung eintreten sollte. All dies ist in Breema auch möglich, wird aber nicht intendiert. Keine, mit Ausnahme der Breema-Körperarbeit, zumindest so weit ich derzeit sehen kann, belässt ihre Arbeit einfach an der Wahrnehmung des Körper-Habens und Leib-Seins, um ein Erleben der eigenen Präsenz zu ermöglichen. Breema will zu einem „Geschmack“ des einfachen Daseins verhelfen und dieses in seiner ursprünglichen – essenziellen – Einheit (Körperwahrnehmung, Denken und Fühlen) erfahren. Dabei kann die unterstützende und nährende Qualität des Daseins erlebt werden. Dazu ist es nötig, präsent zu werden. Der Verstand, der ständig mit Benennen, Vergleichen, Beurteilen, usw. beschäftigt ist, bekommt in der Breema-Übung die Aufgabe den Körper zu „registrieren“. Dadurch wird unser Denken in das leibliche Geschehen eingebunden und verstärkt das Gegenwartserleben, statt das Erleben zu kommentieren.
Zur Unterstützung wurden eine Fülle von Einzelsequenzen (Selbst-Breema) und Partnerübungen (BreemaKörperarbeit) entwickelt. Breema orientiert sich dabei an neun Prinzipien: Körper bequem; Nichts extra; Bestimmtheit und Sanftheit; Ganze Beteiligung; Gegenseitige Unterstützung; Keine Beurteilung; Keine Eile – keine Unterbrechung; Einziger Moment – Einzige Aktivität; Keine Kraftanstrengung (Schreiber 2008, 9, 15).
Es ist eine sehr spielerische Art des Umgangs mit dem Körper. Gerade aufgrund der Absicht, mit der Hilfe des Körpers zum Erleben meiner Präsenz zu kommen und der Einfachheit ist SelbstBreema und Breema-Körperarbeit aus existenzanalytischer Sicht unterstützend und eröffnet einen phänomenologischen Zugang zur Erfahrung des Körper-Habens und Leib-Seins.
Breema-Körperarbeit Setting
Die Ausrichtung des Workshops war ressourcenorientiert. Jede Breema Sequenz wurde durch den Dreischritt „Wahrnehmen – Akzeptieren – Weiterschreiten“ rhythmisiert. An dieser Stelle sei angemerkt, dass es auch die Möglichkeit gibt, leiblich gespürten Einschlüssen (z.B. Schmerz) nachzugehen und die dazupassenden Situationen zu ergründen und sich selbst und seinen Schmerz darin zu verstehen. Dies entspricht einem problemund konfliktorientierten Vorgehen. Breema geht ausschließlich ressourcenorientiert vor. Die Praxis ist geprägt von einem starken Lehrer-Schüler-Verhältnis mit der Betonung der Akzeptanz und der unterstützenden Atmosphäre.
Orientierung bei den Übungssequenzen gaben uns drei von den neun Prinzipien der Breema Arbeit:
Körper bequem
Die Einladung, eine bequeme Körperhaltung einzunehmen. Ich nehme mir Zeit, es mir gut einzurichten. Nehme ein paar Atemzüge in aller Ruhe. Erlebe, dass der Körper atmet. So bin ich in der gegenwärtigen Situation verfügbar und bereit, dem Anderen zu begegnen, ihn zu berühren. Ich fühle mich wohl im Körper, lasse los, und es entsteht die Möglichkeit, an dem, was ich tue, mit innerer Zustimmung ganz beteiligt zu sein.
Keine Kraftanwendung
Jede Bewegung geschieht mit dem ganzen Körper, so, dass „jede Zelle beteiligt ist“. Wenn der ganze Körper beteiligt ist, brauchen auch schwierig aussehende Bewegungen keine isolierte Muskelkraft der Arme oder Hände, sondern sie geschehen mühelos, weil Breema nichts vom Körper verlangt, was nicht natürlich für ihn wäre (Schreiber 2008, 18). In den Sequenzen wird statt Muskelkraft das entspannte Gewicht des Körpers eingesetzt.
Kein Extra
Das Gewahrsein meines atmenden Körpers ist einfach und wird mit Übung immer selbstverständlicher, dazu braucht es keine „Extras“. Keine verstärkte Konzentration. Kein Bemühen, es besonders gut zu machen. Die Qualität der Berührung ist absichtslos und will nichts bezwecken. Das wiederholte Erleben des Körpergewichts, des Atmens und des Wohlseins reicht, um „das Gegenwärtige zu erfahren, ohne es zu verändern oder zu interpretieren“ (Levine 1998, 90).
Neben einer Reihe von Selbst-Breema Übungen (Einzelübungen), einer körperbezogenen Atem-Meditation wurden auch zwei Breema Partnersequenzen vorgestellt und geübt. Die einfachen Übungen bestehen dabei aus natürlichen Bewegungen wie Streichen, Lehnen, Halten, Loslassen, Klopfen, Schaukeln; sie werden am Boden auf weichen Matten oder Teppichen ausgeführt.
Um ein klareres Bild von Breema zu bekommen, zeigt die Abbildung 1 eine Selbst-Breema Übung und Abbildung 2 eine Position einer Breema Partner Sequenz.
In den Publikationen des Breema Center wird wiederholt darauf hingewiesen, dass schriftliche Beschreibungen von Breema Übungen zwar die physischen Bewegungsequenzen wiedergeben, aber die essenziellen Komponenten nicht vermitteln können.
2. Die zentralen existenzanalytischen Interessen an der Arbeit mit dem Körper
Existenzanalytisch-orientierte Körperarbeit interessiert sich für die Grundtatsache des Körper-Habens und LeibSeins zuallererst unter Einklammerung von Absicht und Intention. Nach Merleau-Ponty bedeutet Husserls Schlagwort „zu den Sachen selbst“, „die Forderung, auf diejenige Welterfahrung zurückzugehen, die jeder sprachlichen Artikulation und wissenschaftlicher Begriffsfixierung voraus liegt und ihre Voraussetzung bildet“ (Zahavi 2007, 38).
Die Phänomenologie ist unverzichtbarer methodischer Ausgangspunkt. Anhand des Prozessmodells der Personalen Existenzanalyse spüren wir dem Eindruck der verschiedenen einfachen Übungs-Sequenzen auf den Körper nach und versuchen den phänomenalen Gehalt des Erspürten zu bergen. In weiterer Folge kann dieses Gespürte und Erfühlte für den Dialog fruchtbar gemacht werden. Gerade beim psychosomatisch erkrankten Menschen gelingt die Kommunikation mit dem Körper nicht. Die „Dynamik des leiblichen Befindens ist im Prinzip bereits dialogischer Natur“ (Fuchs 2000, 77). Ebenso spricht auch Bernhard Waldenfels vom „leiblichen Responsorium“, das er als „Antwortlichkeit“ bestimmt. Er sieht darin ein leiblich verankertes Grundverhältnis zur Welt (Waldenfels 2000, 372). Das existenzanalytische Basistheorem der Dialogik der Person ist damit nicht nur geistig, sondern inkarniert und Fleisch geworden. Längle geht von einer fraktalen eingefleischten Struktur der Grundmotivationen aus, mit ihren jeweiligen psychischen und körperlichen Repräsentanten (vgl. Längle 2009, 17). Die Wahrnehmung und Eröffnung dieses Dialogs mit der unbewussten körper-leiblichen Tiefe wird zur Quelle und nährt mein Person-Sein. Es ist die Erfahrung eines inneren Gegenübers, eines Du, aus der eigenen Tiefe.
Konkret wurden folgende Ziele verfolgt (Schwerpunkt auf der 1. und 2. Grundmotivation):
- Bezugnahme zur vorreflexiven körper-leiblichen Erfahrung des Daseins als Nährboden unseres Lebens.
- Die Dynamik des Körper-Leibes erfahren, wie sie im Rhythmus der Atmung gegeben ist und ein „Zu-mir-Kommen“ sowie ein „Mich-Loslassen“ ermöglicht.
- In Seinsfühlung zu bleiben, d.h. in Beziehung mit der Tiefenperson zu sein und dabei zu verweilen. Diese Beziehung ist mehr eine gefühlte oder wie im Breema gesagt wird: es braucht einen Geschmack davon (Schreiber 2008, 7, 8).
- Die Erfahrung der Präsenz zu üben, des wirklichen Daseins von Augenblick zu Augenblick. Entdecken des Eigenwerts meines Körper-Habens.
Die nur oberflächlich selbstverständliche Tatsache des „Ich–bin“ sollte aus eigener Erfahrung „geschmeckt“ werden. Dies ist der Boden – die vorreflexive „somatische Ressource“ (Rothschild 2002, 148) – auf dem ich dann dazu Stellung nehme und mich so in ein stimmiges Verhältnis setze. Das Erleben von Stimmigkeit verweist auf den (Resonanz-) Körper. Stimmigkeit ist ein leibhaftiger Maßstab. In den sich zeigenden leiblichen Tiefenschichten finden sich weiters die Phänomene, die Längle in den Grundmotivationen beschrieben hat. Diese tragen – verkörpert – unser Selbstverständnis und Identitätsgefühl.
3. Was hat Selbst-Breema und Breema-Körperarbeit bewirkt?
Aus den Rückmeldungen geht hervor, dass die verschiedenen Körperübungen zur vertieften Erfahrung von Halt, Raum, Ruhe, Zeit haben, Gelassenheit und das Spüren der eigenen Lebendigkeit und Nähe zu sich und dem Anderen führten, bis hin zu einem Staunen über das Dasein. Die Differenz zwischen theoretischen Annahmen und Konzepten und dem tatsächlichen Erleben wurde deutlich. Weiters wurden Erfahrungen berichtet, die auf frühe, im Leibgedächtnis gespeicherte Einschlüsse (Fuchs 2009, 46-52) hinweisen. Solche leiblichen Einschlüsse können sich als Ressourcen oder als konfliktbeladen erweisen. Zum Beispiel beim Schaukeln der Füße: Wann wurden wir zuletzt einmal wohlwollend und liebevoll und gleichzeitig absichtslos, sanft und bestimmt geschaukelt? Solche Erfahrungen werden als sehr berührend und nährend erlebt, sowohl in der „aktiven“ als auch in der „passiven“ Rolle. Dabei konnte auch die gegenseitige Unterstützung durch den Körper des Anderen nach dem Motto: Körper unterstützt Körper und Leben unterstützt Leben, erfahren werden. Dem entspricht auch das Breema Prinzip: Gegenseitige Unterstützung. Merleau-Ponty hat dies als „Zwischenleibliche Situation“ (Fuchs 2000, 20) begrifflich gefasst und er meint damit, dass sich unsere Körper miteinander verstehen, ohne dass wir genau wüssten wie. Dieses Mehr an Verstehen ist diskursiv nicht mehr einholbar.
4. Die Bedeutung körperorientierter Selbsterfahrung für die Praxis der existenzanalytischen Psychotherapie
Ganz allgemein ist die, zum Spüren hin, öffnende Wirkung auf die Person zu nennen. Es kommt durch phänomenologische Körperarbeit zu einer „Schärfung“ des „Empfangsapparates Mensch“. Wir filtern mit den Spür-Antennen unserer Leiblichkeit, aus dem Zwischen der Beziehung, dem Rauschen der eigenen unbewussten Tiefe, wie auch aus den überpersönlichen Atmosphären diejenigen Gefühle heraus, die sich als wesentlich zeigen (Fuchs 2000, 81).
Die Bedeutung wird im Folgenden anhand des Strukturmodells aufgezeigt.
1. Grundmotivation: Dasein-Können
Die Vertiefung und Verstärkung des Weltbezugs soll ermöglicht werden. Das Üben von Körpergewahrsein kann zu einer sicheren Verbindung zur Gegenwart werden und die Selbstannahme erleichtern. Der „Körperleib“ ist die sedimentierte Vorgeschichte meines gegenwärtigen Daseins. Selbstannahme heißt, diese Vorgegebenheit, das eigene Potential und auch die eigenen Beschränkungen zu übernehmen. Die erlebte und geübte Akzeptanz, das Vertrauen und die Erfahrung von Widerstand, Halt, Raum und Seinsgrund unterstützten die Selbstannahme. In dieser Atmosphäre der Akzeptanz kann sich das Erleben der Präsenz entfalten. Ich bin damit mehr da und erlebe „den Körper als meinen Verbündeten“ (Rothschild 2002, 148). Dabei kann auch das Vertrauen geborgen werden, das unreflektiert voraussetzt, dass der Körper atmet, für das richtige innere Milieu sorgt, gehen kann, usf.
2. Grundmotivation: Leben-Mögen
Auf der Ebene der 2. Grundmotivation wirkt sich Körperarbeit auf die Fähigkeit aus, sich selbst wohlwollend und voll Akzeptanz zuzuwenden. Der Eigenwert des Körpers wird spürbar. Das ermöglicht das Bei-sich-verweilenKönnen und sich Zeit zum Atmen zu schenken. Die innere Beziehung zu sich, sich selber heilsam berühren zu lernen, ist ein zentraler Wirkfaktor in der Psychotherapie. Damit stärke ich wesentlich den Bezug zum Leben und die Erfahrung des Grundwertes. An dieser Stelle verweise ich auf die neurobiologischen Studien über die positive, und die Entwicklung fördernde Wirkung von Berührungen, die ich nicht näher ausführe (Dem Peptidhormon Oxitocin wird dabei eine Fülle von Wirkungen zugeschrieben: Einfluss auf die Bindungsfähigkeit, Stress reduzierend, entzündungshemmend, usw. (Reddemann 2006)). Das Fühlen des Atemrhythmus ermöglicht ein Im-Takt-Sein mit sich selbst, ein In-sich-schwingenKönnen, auch Werte schwingen lassen.
3. Grundmotivation: Sosein-Dürfen
Im Bereich der 3. Grundmotivation scheint die Bedeutung der Achtsamkeit sich selbst und der eigenen Tiefe (Tiefenperson) gegenüber, sowie die Fähigkeit zur Selbstfürsorge zentral. Durch die Aufgabe des Verstandes, den Körper wahrzunehmen, anstatt ständig mit Benennen, Vergleichen, Beurteilen, usw. beschäftigt zu sein, wird unser Denken in das eigenleibliche Geschehen eingebunden und verstärkt das Gegenwartserleben meines So-Seins. Diese Fähigkeit der (Selbst-) Distanzierung im Sinne einer Dis-Identifikation von Gedanken, Vorstellungen und Konzepten schafft Freiheit und Offenheit für mich selbst als leibliches Wesen. Ich bin eben mehr als meine Gedanken und Konzepte. Die erlebte Eigenständigkeit des Körpers ist dabei anzuerkennen. Die erspürten körperlichen Rhythmen können durch die innere Zustimmung zu meinen ganz eigenen – personiert – werden. Die geübte Achtsamkeit kann zur Lenkung der Aufmerksamkeit eingesetzt werden und stärkt die Erfahrung, dass ich etwas tun kann und nicht hilflos bin (Methode der Mindfulness-Based-Stress-Reduction (Lehrhaupt 2007, 142-147)). Die achtsamkeitsbasierten Ansätze in der Psychotherapie sind inzwischen ganz gut erforscht und empirisch bestätigt (Heidenreich T, Junghans-Royack K, Michalak J 2007, 202-216). Vor allem die Entwicklungen in der Traumatherapie haben die Bedeutung der Arbeit mit dem Körper wieder sichtbar gemacht. So meint Levine, dass die Wurzel des Traumas im instinktiven Teil unserer Existenz liegt, „der stark an unseren Körper gebunden ist. Deshalb finden wir den Schlüssel zur Traumaheilung, sowohl in unserem Körper als auch in unserm Geist“ (Levine 1998, 43).
4. Grundmotivation: Sinnvolles-Wollen
Auf der 4. Grundmotivationsebene wirkt sich die Arbeit am Körper durch das Erleben des Eingebettet-Seins in die Welt und des Durchatmet-Seins in der Lebendigkeit positiv aus. Zudem ist eine achtsame Praxis in der Lage gewohnte Handlungsautomatismen und gedankenlose Routinen aufzubrechen und die zur Verfügung stehenden Energien besser zu nützen. Dabei eröffnen sich Sinn-Zusammenhänge bis an die „Tür zur Transzendenz“ (Frankl 1982, 75). Hier eröffnen sich „transpersonale“ Aspekte der Existenzanalyse.
5. Was blieb offen und eröffnet damit einen Ausblick auf ein Entwicklungsfeld existenzanalytischer Arbeit mit dem Körper?
Das existenzanalytische Entwicklungsfeld unterteile ich in ein theoretisches und ein praktisches, ohne die beiden streng zu trennen. Es geht um ein achtsames Hinund Hergehen zwischen dem leiblichen Erleben und der Bildung von Konzepten. Hier kann durch ein solches Vorgehen „frische Luft“ in die Konzepte kommen. Abschließend erfolgt ein kritischer Blick auf das Konzept Breema. Anmerkungen zur existenzanalytischen Theorieentwicklung Auf sie wurde im Workshop zugunsten der Praxis kaum eingegangen, darum hier nur ein paar Anmerkungen. Es ist ein Verdienst von Längle, die Bedeutung des Körpers und das Verstehen des Leibes im anthropologischen Konzept der Grundmotivationen theoretisch fundiert zu haben (Längle 2008, 29). Dass diese Entwicklung und Einarbeitung noch nicht abgeschlossen ist, wird an den Ausführungen beim Kongress, vor allem durch die Vorträge von A. Längle, E. Bauer und D. Trobisch deutlich. Die dualistische Tendenz Frankls, die ihn zur Betonung der „Trotzmacht des Geistes“ (Frankl 1995, 124) führte, ist zu würdigen (z.B. als Überlebenskunst), aber auch kritisch zu reflektieren. Es geht um einen verstehenden Umgang mit der „großen Vernunft des Leibes“ (Nietzsche 1994, 119) und, wie es Trobisch in seinem Referat formulierte, sich „dem Dialog mit dem Körper gerade nicht trotzig zu verschließen“. Weiters verwies Trobisch darauf, dass wir als geistig Begreifende immer körperlich Ergriffene seien und jeder Denkprozess von einem Evidenzgefühl getragen sei.“ Im Körperleib findet sich ein sedimentiertes Wissen von der Welt. Die „Instrumentalisierung des Körpers“ (Frankl 2002, 83), die sich durch den Antagonismus zwischen Geistigem und Psychophysikum einschleicht, ist darum in enge Grenzen zu weisen. Nach Längle haben wir von einer durchdrungenen Integrität auszugehen. Existenz emergiert aus Körper und Psyche, ist deren Verlängerung ins Geistige, und nichts substanziell Neues (vgl. Längle 2009, 16). Auch die Bedeutung der „Zwischenleiblichkeit“ scheint mir theoretisch sehr spannend und praktisch bedeutungsvoll zu sein und ist noch wenig angedacht. Das führt uns bereits zum praktischen Entwicklungsfeld.
Entwicklungsfeld existenzanalytische Praxis
Gerade die Betonung des Einheitlichen – der durchdrungenen Integrität – in der heutigen Existenzanalyse erfordert, dies in der Praxis zunehmend zu berücksichtigen. Das heißt, der Selbsterfahrung durch Körperarbeit einen angemessenen Raum zu geben. Offen bleiben im Workshop auch viele Fragen der Anwendung im Sinne einer „Körperdiagnostik“ oder Interventionsformen, die den Körper direkt mit einbeziehen oder helfen, mit dem Körper in einen Dialog zu kommen. Diese Fragen sind zwar ansatzweise angedacht, aber wenig bearbeitet und ausgeführt. Dabei scheinen sich vielversprechende und spannende Fragen für die weitere Entwicklung und Arbeit im Rahmen der Existenzanalyse zu eröffnen.
Der Zugang und die körperorientierte Selbsterfahrung der Therapeuten und Therapeutinnen ist die entscheidende Voraussetzung, diese Ebene in die Therapie und Lehre einzubringen. Die eigene Erfahrung des Körper-Habens und Leib-Seins ist unverzichtbar. Vorreflexiv bildet sie den Boden all unseres Handelns, den Ausgangspunkt existenzieller Lebensgestaltung und – so muss man ergänzen – existenzielle Lebensgestaltung ist unaufhörlich Verkörperung. Es lohnt sich für existenzielle Psychotherapeuten, sich dem nährenden Boden des Seins und dem Fließen des Lebens in uns zu öffnen – auf ganz einfache Art.
Kritische Anmerkung zur Theoriebildung und Philosophie von Breema
1. Breema kann keine Psychotherapie ersetzen.
So betont der Ausbildungsleiter für Breema-Körperarbeit in Österreich Aron Saltiel, dass Breema keine therapeutischen Werkzeuge und kein therapeutisches Persönlichkeitsund Beziehungsmodell anbietet, ebensowenig Problemlösungsund Konfliktbewältigungstrategien. Deshalb wäre jeglicher Präsentation dieser Körperarbeit und der damit verbundenen Philosophie als Psychotherapie, mit Vorsicht zu begegnen.
Sie ist ressourcenorientiert und lässt auftretende Konflikte psychodynamisch und personal unbearbeitet. Konflikte werden auf der transpersonalen Ebene angesprochen und auf die Identifikation mit Gedanken und Gefühlen zurückgeführt, die als uneigentlich relativiert werden. Im Ereignis des Augenblicks relativiert sich das Empfinden der Sorge nach der Annahme „why worry – just breathe“. Dieses Phänomen ist tatsächlich zu erleben und setzt gleichzeitig Ressourcen frei, sich mit den Problemen auf neuartige Weise auseinanderzusetzen. Das eine solche radikale Selbstdistanzierung – Disidentifikation – eine einigermaßen „gesunde“ Entwicklung der Person voraussetzt, ist unbestreitbar. In letzter Zeit beginnt auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Breema in Schwung zu kommen. So berichtet Michaelis von einer Einzelfallstudie in Graz (Michaelis/ Mikula 2007, 206) und einer Reihe von Studien an Schulen.
2. In den vom Breema Center in Oakland/Californien publizierten Texten eröffnen sich begriffliche und konzeptionelle Schwierigkeiten, die auf zumindest zwei Gründe zurückzuführen sind:
a)Die vage Begriffsverwendung und die im Englischen fehlende Differenzierung von Leib und Körper: Die veröffentlichten Texte entsprechen mehr der Charakteristik von Weisheitsliteratur und verweisen auf den Bezugsrahmen des „transpersonal-integralen Paradigma“. Dieses Paradigma begrüßt die Polyperspektivität ausdrücklich, um mehrdimensionale Zugänge und Zusammenhänge deutlich zu machen. Dabei spielen auch meditative und spirituelle Zustände als Erweiterung des Bewusstseinsspektrums eine entscheidende Rolle (Michaelis/Mikula 2007, 52).
b) Die Einbettung im „Transpersonalen Paradigma“ und Fundierung in der östlichen Philosophie: In diesem Bezugsrahmen werden „entsprechend einer synthetischen und integralen Sichtweise auch die Grenzen der Logik und die traditionellen Formen der Erkenntnisgewinnung akzeptiert, gleichwohl wissend, dass Intuition und andere Formen der Erkenntnisgewinnung zugelassen werden“ (Michaelis/Mikula 2007, 41). Das Erleben der Einheit von Körper und Verstand wird nicht immanent gedeutet, sondern transzendiert und im Sprachspiel östlicher Philosophie begründet. In diesem Rahmen überrascht es nicht, dass Aspekte des „Personalen“ zugunsten des „Lebens“ suspendiert werden. Diese Suspendierung erinnert an Hegels dreifachen Sinn der Aufhebung: des Verneinens, des Aufbewahrens und der Integration in eine höhere Stufe der Entwicklung. Für jemanden, der ein weltimmanentes Paradigma bevorzugt, wirkt die transpersonal-metaphysische Interpretation der körperleiblichen Erfahrung befremdend.
Die philosophischen Prämissen werden von den Autoren allerdings nicht als etwas „für-wahr-zu-Haltendes“ vorgetragen. Breema ist letztendlich anwendungsorientiert und verlangt von denen, die es lernen, nur das als wahr zu akzeptieren, was sie für sich selbst verifizieren können (Schreiber 2008, 13). Breema zeigt sich hier als Übungsweg mit ständigem Verweis auf die eigene Erfahrung und das Erleben.
Eine grundlegende philosophische Kritik dieses Paradigmas würde hier zu weit führen.
Schlussbemerkung
Bei einer wohlwollenden Lesart zeigt sich hier ein Grundphänomen, das auch in den verschiedenen existenzphilosophischen Entwürfen sichtbar wird. Das gespürte Leben lässt sich reflexiv nicht einholen, es ist immer schon vorweg. Um das vorreflexive körperleibliche Erleben im Medium der Sprache zu erfassen bietet die Phänomenologie ein alternatives begriffliches Feld, mit einer Brücke zur Transzendenz, ohne diese inhaltlich auszudeuten.
Natürlich geht die Intention der Existenzanalyse als Psychotherapie über die Praxis von Breema-Körperarbeit hinaus, und doch treffen sie sich im Sinne eines vorreflexiven Ausgangsund personalen Fluchtpunktes wieder: Beim akzeptierten, gespürten und geschmeckten, innerlich bejahten Sich-Einlassen auf das Dasein.
Es ist – existenzanalytisch und breemaspezifisch gesehen – gerade nicht das Vielwissen, welches die Seele sättigt, „sondern das Fühlen und Kosten der Dinge von Innen“ (Loyola 1965, 2). Dieses „Schmecken“, die Beziehungsaufnahme mit dem einfachen körperleiblichen Sein und Leben in mir ist immer wieder neu …
Augenblick für Augenblick
Literatur
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